Ein Programm entsteht…
Als ich letztes Jahr die Ausarbeitung eines neuen Konzepts für das Jahreskonzert 2024 begonnen hatte, sollte auch dieses Konzept – wie schon in den beiden Jahren zuvor – wieder von zwei Grundgedanken getragen sein: Zum einen wollte ich für den Chor wieder ein umfangreiches Programm mit zahlreichen Neueinstudierungen zusammenstellen, das vor allem den Chor in den Mittelpunkt des Abends stellt und eine herausfordernde Zeit der Einstudierung inkludiert. Zum anderen wollte ich aber auch wieder mit Vereinen „vor Ort“ – wie schon 2022 z.B. mit dem Akkordeonorchester und dem Schulchor der Schillerschule – zusammenarbeiten, die – wie auch der Liederkranz – ihr Hobby zur Passion gemacht haben. Den Schulchor hatte ich gleich auf meiner Besetzungsliste – welche Herausforderungen da gemeistert werden mussten, sei am Ende erzählt. Im Hinblick auf mein gewähltes Thema dachte ich dieses Mal an eine „Tanz-Ergänzung“ meines Konzepts. Meine Wahl fiel auf die Kornwestheimer Tanz- und Ballettschule Biedermann, mit der ich auch bald Kontakt aufnahm – ein Glücksgriff, wie sich später herausstellen sollte. Außerdem inspirierte mich die Zusage dieser Tanzschule zum Zusatz „Petticoats“ in meiner Programmüberschrift – ein willkommener „Eyecatcher“.
Viele Themen gingen mir dabei durch den Kopf – schließlich entschied ich mich für ein Thema, das auch in meinem eigenen Leben eine gewisse Rolle gespielt hat: Als Teenager der 60-er Jahre stand ich selbst im Spannungsfeld zwischen populärer (Beat, Rock, Tamla Motown, Beatles, Beach Boys etc…) und klassischer Musik (Klaviermusik von Bach bis Chopin etc.).
So entschied ich mich schließlich dafür: Die „60er Jahre“ sollten es werden – und mit dem Zusatz der „Goldenen 60er“ wollte ich gleich noch im Titel, quasi mit einem Augenzwinkern, auf die „goldenen 20er“ verweisen. Der passende Titel zum diesjährigen Jahreskonzert kam mir „über Nacht“ in den Sinn:
Rock‘n Roll, Petticoats und Herzschmerz – die goldenen 60er
Musikalisch vollzieht sich auch in der U-Musik der 60er Jahre eine spannende Entwicklung: Da ist zum einen noch der „gute alte Schlager“ deutscher Provenienz gefragt, wie er schon in den 30er-, 40er- und 50er Jahren stilprägend war. Es werden nette, humorvolle oder eben auch gefühlvolle Texte in schöne Melodien gekleidet
– zum Mitsingen und Träumen – und damit eben auch ein wenig „Herzschmerz“ erzeugt. Titel wie Lotar Olias Junge komm bald wieder, der vom beliebten Schlagerstar Freddy Quinn gesungen wurde, gehören in diese Kategorie. Ebenso Marina von Rocco Granata oder Presleys Love me tender oder Are you lonesome tonight. Dass auch der Humor in den Schlagern der 60er Jahre seinen Platz hatte, beweisen Titel wie Ohne Krimi geht die Mimi oder Pigalle von Bill Ramsey.
Unaufhaltsam war aber der Einfluss der amerikanischen/englischen Unterhaltungs- oder Popmusik, der sich auch in Deutschland sehr erfolgreich verbreitete und gerade für die Jugend eine willkommene Abnabelungsmöglichkeit von der Welt der Erwachsenen bot: Sugar Sugar Baby von Peter Kraus, Drafi Deutschers unverwüstliches Marmor, Stein und Eisen bricht oder Benny Quicks (mit bürgerlichem Namen Rolf Müller!) Motorbiene waren deutsche Vorboten dieses neuartigen anglo-amerikanischen Rock’n Roll-Trends. Mit einer deutschen Version von Lucky Lips, die dann zu Rote Lippen soll man küssen wurde, schaffte es der britische Popstar Cliff Richard im November 1963 in allen deutschen Hitparaden auf Platz 1. Einen ähnlichen Hintergrund hat auch ein anderer „Nr. 1-Hit“ von 1963:
Schuld war nur der Bossa Nova. Die deutsche Schlagersängerin Manuela hatte den amerikanischen Super-Hit Blame it on the Bossa Nova vom amerikanischen Autorenduo Cynthia Weil & Barry Mann für das deutsche Publikum gecovert und eine Riesenerfolg erzielt.
Der originale Rock’n Roll aus Amerika oder die frühen Beatles aus England mit ihren Pop- bzw. Rock-Varianten samt ihren großen kalifornischen Konkurrenten, den Beachboys, spielen in meinem „60er-Jahre-Konzept“ selbstverständlich auch eine tragende Rolle: Da konnte ich den Presley Klassiker Jailhouse-Rock (er verbindet den musikalischen Rock mit einer gehörigen Portion Humor) oder einige Welt-Hits der „Fab Four“ – 1965 vom britischen Königshaus in den Adelsstand erhoben – samt dem Mega Hit Barbar‘ Ann von den Beachboys in schönen Arrangements für Männerchor finden.
Eine ganz besondere Entstehungsgeschichte hat der Song The Lion sleeps tonight: Dem südafrikanischen Zulu-Sänger Solomon Linda kam die Idee zum Song bereits 1938 bei der Verfolgung von Löwen, die Rinderherden angegriffen hatten. Mit seinen Evening Birds nahm Solomon Linda seinen Song 1939 in Johannesburg unter dem Titel Mbube (=Löwe) auf. Das Urheberrecht an seinem Song verkaufte Linda für ganze 10 Schillinge an den Musikverlag von Eric Gallo. Der Song wurde in den folgenden Jahren von vielen Pop- und Folkkünstlern adaptiert und gecovert. 1961 wurde eine ins Englische übersetzte Version mit dem Titel The Lion sleeps tonight der „Doo-Wop-Gruppe“ The Tokens ein Nummer-eins-Hit in den Vereinigten Staaten. Große Popularität erhielt der Song auch 1994 als Filmmusik in Walt Disneys The Lion King. Insgesamt beliefen sich die Tantiemen an dem Song auf ca. 72 Millionen $.
Wie eingangs schon erwähnt, wollte ich auch wieder den Schulchor der Schillerschule in mein Konzept für das Jahreskonzert 2024 einbauen. Doch meine anfänglichen Korrespondenzen mit der damaligen Schulchorleiterin offenbarten eine traurige Entwicklung: Wegen Lehrermangels gab es mittlerweile keinen Schulchor mehr. Das brachte mich auf die Idee: Dann gründe ich dort eben einen Projektchor, arrangiere passende Lieder und übernehme die wöchentlichen Proben. Die Anfrage an die Schule ergab: 31 Kinder aus der 3. und 4. Klasse hätten Lust auf solch einen Projektchor, der dienstags in der 6. Stunde in der Schule stattfinden sollte. Mit großer Begeisterung stürzten sich alle Beteiligten in die Aufgabe. Natürlich mussten die Lieder auch zu meinem Programm-Titel und den 60-er Jahren passen: Mit drei Songs aus dem Dschungelbuch, von mir für Kinderchor, Klavier und Kontrabass arrangiert und in digitalen Files – zum zusätzlichen Üben zuhause – eingespielt und eingesungen, war für das diesjährige Konzept eine tolle Ergänzung gefunden.
Nach intensiver Vorarbeit und vielen unterhaltsamen und konzentrierten Proben heißt es heute Abend
„Rock’ Roll, Petticoats & Herzschmerz – die goldenen 60er Vorhang auf – und Bühne frei
für Tänzer, Musiker, die Sänger des Schulchors, des Männerchors und den künstlerischen Leiter
Enrico Trummer